Geschichten, Gedichte, Essays
von Jens Grabarske
Mein Bett
Eine Liebeserklärung an den Ort, an dem es immer warm und kuschelig ist.

Das Bild, “big bed” von Joelk75, wurde durch die CC BY 2.0 lizensiert.

Dieser Text wurde auf dem Hammer Poetry Slam im Januar 2014 vorgetragen. Hier eine Aufnahme, der Text findet sich dadrunter:


Unter meinem Bettlaken herrscht die perfekte Temperatur. Man muss dies verstanden haben, um diesen Text zu verstehen. Es ist sowas wie die thermodynamischen Grundgesetze.

Zwischen der niedrigstmöglichen Temperatur, −273,15° Celsius und der höchstmöglichen Temperatur, das sind 1,41678571×1032 Grad Celsius gibt es nur eine Temperatur, die ideal ist. Wenn ihr euch den Himmel vorstellt oder das Nirvana, egal woran ihr glaubt, was es für tolle Sachen gibt, wenn ihr euch immer fleißig an das haltet, was euch irgendeiner sagt, die Temperatur, die da herrscht, also die angenehme Temperatur, das ist nicht irgendeine Temperatur, es ist die ideale Temperatur und das ist die Temperatur in meinem Bett um 6:00 morgens, wenn der Wecker klingelt.

Ich meine um 6:10 morgens, wenn der Wecker zum zweiten Mal klingelt.

Ich meine um 6:20 morgens, wenn der Wecker zum dritten Mal klingelt.

Ich meine um 6:30, wenn ich ihn endlich ganz ausschalte, das furchtbar plärrende Etwas.

Verräterischer Apparat, mit dem ich mich aus dieser Bruthöhle herausquälen soll. Aber ich kann es ihm nicht verdenken, schließlich ist der nicht hier im Bett, sondern da draußen, der arme Kerl, und an meiner Nasenspitze spüre ich schon, dass außerhalb meines Bettes arktische Temperaturen herrschen. Wie die hier reingekommen sind, kann ich jetzt auch nicht so genau sagen. Vielleicht ist irgendwo ein Fenster offen, wenn dem so ist, dann ist es aber außerhalb der Reichweite des Bettes und daher kann ich da gerade überhaupt nichts machen.

Gut. Fassung bewahren, Lage sondieren. Nachdenken und Nachrechnen. Ein Blick auf den Wecker, der aus unerklärlichen Gründen den schweren Schlag gegen die Wand überlebt hat. 6:32. Erst einmal entspannen. Es ist noch genug Zeit, der Termin ist ja erst um 10 Uhr, eine Stunde Fahrtzeit, eine halbe Stunde Frühstück, Morgentoilette, Dusche, zusammen ebenfalls eine halbe Stunde und ich wollte noch eine Stunde Frühsport machen. Bedeutet: ich muss um 7:00 loslegen. Also nicht jetzt. Faktisch habe ich also 27… 26 Minuten Zeit, noch etwas zu dösen. Und über diesen tollen Traum noch einmal nachzudenken, wo an dieser Stelle so spärlich mit der Kleidung umgegangen wurde. Schwelgen und sich wie im Schoß der Mutter fühlen. Dann ein kurzer Kontrollblick auf den Wecker. Dieser scheint von dem Schlag doch stärker mitgenommen zu sein, als erwartet. Ich hatte ja gerade einmal 5 Minuten die Augen zu, höchstens 7, maximal, MAXIMAL 10, aber er zeigt jetzt 7:20. Ich greife nach meinem Handy und blicke drauf. Verdammt! Das blöde Telefon hat sich mit dem Wecker verbündet und zeigt dasselbe!

Nur die Ruhe. Man kann ja auch eine kurze Runde joggen. Nur eine halbe Stunde raus. Besser als gar nichts, ein wenig das Blut in Wallung bringen. Oder - morgen ist ja auch noch ein Tag… mmoorrggeenn. Warum so viel Stress. Gut. Machen wir es morgen, lässt uns 38… 37 Minuten Zeit um noch etwas zu dösen. Wunderbar.

Das laute Piepsen und Getöse vom Müllabfuhrwagen draußen weckt mich um präzise 8:12. Menschen, die früh arbeiten müssen. Ekelhaft. Ich frage mich kurz, ob ich mehr Mitleid für sie empfinde oder Abscheu, weil sie mich früh morgens mit Gepiepse und Schuldgefühlen wecken.

Es ist jetzt schon zu spät für das gemütliche Frühstück, aber ich kann mir zur Not auch was auf dem Weg holen. Ich geh erst einmal auf Klo. Dabei lese ich schon einmal in meinem Smartphone auf Facebook, was meine Freunde so getrieben haben und vor allem wie spät noch. Der späteste Eintrag war um 3:15. Ich bin also, was früh ins Bett gehen betrifft, nicht der schlimmste Versager, STRIKE! Ein Freund schrieb etwas nachdenkliches, das muss ich genauer lesen. Das ist was persönliches, etwas sehr emotionales, da gibt es nur einen Ort, wo man das lesen sollte, den idealen Ort mit der idealen Temperatur. Ich spüle, wasche mir die Hände und gehe zurück in mein Bett und lese es. Ich lese es und zum Nachdenken schließe ich die Augen.

Es klingelt an der Tür. Ich stapfe nach vorne. Es ist der Paketbote, der mich fragt, ob ich ein Paket für einen Nachbarn annehmen könne. Ich herrsche ihn an, dass das ja wohl etwas früh sei um bei Leuten zu klingeln. Er meinte, 10:21 sei jetzt nicht wirklich früh.

Verdammt.

Ich bin zu spät.

Ich muss duschen, dann schnell was essen, dann im Tiefflug zur Arbeit. Erst duschen. Ich reiße mir meine Schlafklamotten runter und renne nackt zur Dusche. Besinne mich für einen Moment, renne zurück zur Wohnungstür und schließe sie vor der Nase des etwas geschockt dreinblickenden Paketboten. Ich springe in die Dusche und drehe den Hahn auf. Das Wasser des nördlichen Polarmeers schießt aus dem Duschkopf bis der Durchlauferhitzer endlich warm genug ist und jetzt die ideale Temperatur mich umströmt. Als Abschied an mein Bett lasse ich das Wasser etwas länger an mir herunter laufen, als ich sollte.

Mit falsch geknöpftem Hemd, Krümeln auf den Klamotten und unrasiert erscheine ich beim Termin. Die Blicke meines Chefs können nicht töten, aber sie versuchen es trotzdem. Der Kunde nimmt es gelassen: “Na, gab es Probleme auf dem Weg zur Arbeit?” - “Wie man es nimmt. Kennen Sie die thermodynamischen Grundgesetze?”


Last modified on 2014-01-18