Geschichten, Gedichte, Essays
von Jens Grabarske
Vorsätze
Im Januar spätestens macht man all die schönen Neujahrsvorsätze. Eine gute Idee, oder nicht?

Das Bild, “2014 Calendar” von danielmoyle, wurde durch die CC BY 2.0 lizensiert.

Dieser Text wurde auf dem Hammer Poetry Slam im Januar 2014 vorgetragen. Hier eine Aufnahme, der Text findet sich dadrunter:


Januar. Die Zeit der Weltmeisterschaft im Vorsätzeschmieden. Januar. Wo die Fitnessstudios die meisten Eintritte sehen. Januar. Wo wir uns nach der Weihnachtsschlemmerei alle kollektiv fett fühlen dürfen, auch die Dünnen.

Doch wir sind gerüstet und tragen stolz den Schild des Vorsatzes vor uns her. In schillernden Farben ist dort geschrieben, was schön wäre, an unserem Verhalten zu ändern.

Besser. Schneller. Höher. Weiter. Reicher. Schlauer. Schöner. Geschickter. Sportlicher. Charmanter. Gewandter. Interessanter. Ruhiger.

Vorsatz bedeutet sowas wie Absicht oder Plan, aber irgendwie dann doch nicht, denn wir steigen ja auch mit Absicht in eine Achterbahn ein und nicht mit Vorsatz. Mit Vorsatz klingt das irgendwie kriminell, im Sinne von “Ohne Vorsatz ist es kein Mord, sondern Totschlag.”

In Grimms Wörterbuch steht über Vorsatz:

öfter aber bezeichnet es einen aus überlegung und seelischer bewegung entstehenden entschlusz, der nun auch für das spätere verhalten bindend sein soll, sodaszvorsatz eine selbstgegebene moralische regel darstellen kann, in diesem sinne besonders im plural, z. b. in dem aus älterer zeit nicht nachweisbaren sprichwort: der weg zur hölle ist mit guten vorsätzen gepflastert. vgl.

Hölle. Ein Ort der ewigen Marter und Qual. Denn hinter jedem Vorsatz steckt ein Wille und hinter jedem Wille steckt ein Wunsch und hinter jedem Wunsch steckt ein Leid, eine Qual, eine Folter, ein persönlicher Dämon, der uns peitscht und peinigt und uns sagt, dass wir nicht ausreichend sind. Nicht ausreichend für einen Partner, nicht ausreichend für ein glücklicheres Leben, nicht ausreichend für Freunde, Familie, Erfolg.

Hinter dem Vorsatz zu trainieren und abzunehmen steht die Seele eines weinenden Menschen vor einem Zerrspiegel, der, egal, wie man ihn wendet, einen 20% dicker zeigt, als man ist.

Hinter dem Vorsatz, mehr Engagement zu zeigen, steht die Seele eines weinenden Menschen, der glaubt, dass alle außer ihm immer die Kraft und die Ausdauer für ihre Pläne haben.

Hinter dem Vorsatz, regelmäßig zu meditieren, steht die Seele eines weinenden Menschen, der nicht weiß, wie er mit seiner Wut klar kommen soll.

Der Vorsatz ist nicht die Lösung, er ist nicht die Freiheit, er ist nicht der Ausweg.

Der Vorsatz ist die Kette, mit der wir uns an unseren Höllendämon binden, mit der wir unser schlimmstes Bild von uns annehmen und im Annehmen dulden und im Dulden zustimmen.

Wir knien nieder und geben unserem Höllendämon bereitwillig eine weitere, neue Peitsche, mit der er uns knechten kann. Und jeder Tag, an dem der Vorsatz aufgeschoben ist, ist ein weiterer Striemen auf unserem Rücken.

Bis wir in einem Anfall der wilden Verzweiflung die Peitsche aus der Hand schlagen und die Kette lösen, kurz, uns von dem Vorsatz entbinden.

Wir sehen sowas normalerweise als Schwäche. Aber es ist tatsächlich Stärke, es ist unser Selbsterhalt, der weg von der Kreatur will, der uns Vorsätze wieder lösen lässt.

Mein Rat für jeden, der es hören mag ist daher, keine Neujahrsvorsätze zu schmieden, sondern das Jahr mit der Absicht zu füllen, an jedem Tag etwas zu tun, was uns glücklich macht. Wenn wir trainieren wollen, dann etwas, was uns Freude macht, nicht das, was besonders effektiv im Fettabbau ist. Wenn wir mehr Engagement zeigen wollen, dann mit den Dingen, die uns erfüllen. Wenn wir meditieren wollen, dann nur, wenn es uns gefällt. Und dem Dämon lachen wir dabei aus der Ferne ins Gesicht.

Und wem dies missfällt, wer meint, der Dämon sei unser Freund, dem empfehle ich als Lektüre die Vorsatzliste vom vorigen Jahr.


Last modified on 2014-01-18